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Wir sind die Lampedusa-Flüchtlinge
vom Oranienplatz, hier ist die
Geschichte unseres langjährigen
Leidens und Kampfs!

Wir, die „Lampedusa-Flüchtlinge“ vom Oranienplatz stammen vor allem aus Schwarzafrika. Viele von uns sind zunächst aus unseren Heimatländern nach Libyen gekommen und haben dort lange Jahre als Arbeitsimmigranten gearbeitet. Wir hatten dort ein sehr gutes Einkommen, so dass wir unseren Familien in den Herkunftsländern ausreichend Geld für Schulgebühren, medizinische Versorgung und zum Lebensunterhalt schicken konnten. Während des Bürgerkrieges 2011 gerieten wir dann zwischen alle Fronten. Nachdem Gerüchte aufkamen, wir wären alle Söldner Gaddafis, wurden viele von uns von den Rebellen massakriert, welche Gaddafi stürzen wollten. Aus der Luft erlitten wir monatelang das Natobombardement, welches unzähligen Menschen das Leben kostete. Letztendlich wurden wir von Regierungssoldaten mit Waffengewalt auf überfüllte Boote Richtung Europa gezwungen, wobei die Boote häufig kenterten und viele von uns starben. Wer den Krieg und die Fahrt übers Mittelmeer überlebt hatte, landete in Lampedusa, einer winzigen Insel, welche zu Italien gehört. Unsere alte Heimat Libyen ist nach dem NATO-Einsatz ein sog. „failed state“ geworden, wir können nicht mehr zurück!

Im Gegensatz zu zentraleuropäischen Ländern wie Deutschland, die keine Außengrenzen haben, sind die südeuropäischen Länder mit den Flüchtlingsströmen völlig überfordert. Nachdem wir zunächst asylrechtlich abgelehnt wurden, erhielten die Meisten dann doch ein Jahr humanitären Aufenthalt, welches immer wieder verlängert werden muss. Für uns, die zivilen Kriegsopfer des Libyenkriegs, gab es zunächst UN- und EU-Gelder. Als diese Programme ausliefen, wurden über Nacht die Unterkünfte geschlossen und wir wurden im Winter auf die Straße gesetzt. Man setzte uns unter großen Druck, in die anderen EU-Länder weiterzuziehen. Viele erhielten ein paar hundert Euro Fahrtkosten, im Gegenzug mussten wir uns verpflichten, Italien zu verlassen. Man gaukelte uns vor, wir hätten in allen anderen EU-Ländern das Recht zu arbeiten, was aber vom Gesetz her nicht erlaubt ist. Wer nicht ausgereist ist, lebt nun obdachlos in Abbruchhäusern oder übernachtet an den Bahnhöfen und kann sich nur durch Betteln vorm Verhungern retten. Arbeit zu finden ist wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise in Italien und auch aus rassistischen Gründen nahezu aussichtslos!

Die meisten Flüchtlinge kennen sich mit den Einzelheiten des europäischen Asylverfahrens nicht aus. Sie wissen nicht, dass sie nur in dem europäischen Land, das sie als erstes betreten haben, einen Asylantrag stellen können und dass sie deswegen in den anderen EU-Ländern weder Arbeitserlaubnis, noch Sozialleistungen zu erwarten haben. 

So haben wir „Lampedusa-Flüchtlinge“ in Berlin gemäß der Dublin III Verordnung keinen Aufenthaltsstatus, keine Arbeitserlaubnis, kein Einkommen und kaum Hoffnung auf legalen Aufenthalt. Auf dem Oranienplatz lebten wir in überfüllten Zelten ohne private Rückzugsmöglichkeit. Wir hungerten oft und erlitten zwei Winter lang die Kälte und die Ratten. Die meisten von uns sind schwer traumatisiert und ohne entsprechende professionelle Hilfe. Wir sind zur Untätigkeit gezwungen und auf Geld-, Essens- und Kleiderspenden angewiesen. Dabei wollen wir doch nur die Chance auf einen Neuanfang, wir wollen das Recht auf Arbeit, damit wir wieder für uns selbst sorgen können, anstatt wie Bettler bemitleidet zu werden.

Auch unseren Familien in den Herkunftsländern können wir seit Ausbruch des Libyenkriegs kein Geld mehr schicken, unseren Familien geht es jetzt schlecht, das setzt uns zusätzlich unter starken Druck! Im Januar letzten Jahres wollte Innensenator Henkel den Oranienplatz räumen lassen, Integrationssenatorin Kolat legte ein Veto ein und begann mit uns zu verhandeln. Es wurde eine Vereinbarung unterzeichnet und das Camp am Oranienplatz wurde freiwillig abgebaut. Im Gegenzug bezogen wir am 8. April verschiedene Unterkünfte, bekamen zunächst sogenannte freiwillige Leistungen, 362 Euro monatlich, sowie die Zusage auf ein faires aufenthaltrechtliches Verfahren. 

Diese Vereinbarung erwies sich in der Realität schnell als Farce. Unsere versprochenen Deutschkurse begannen erst nach drei Monaten, die Dozentinnen erhielten sehr lange kein Honorar dafür und waren daraufhin selbst in existenziellen  Schwierigkeiten. Wir waren und sind z.B. weiterhin nicht krankenversichert, die Anträge auf humanitären Aufenthalt wurden nach kürzester Zeit abgelehnt, obwohl die unmenschlichen Zustände für Flüchtlinge in Italien bekannt sind und es mehrere hundert individuelle Gerichtsentscheidungen gibt, Flüchtlinge aus Gefahr für Leib und Leben NICHT nach Italien zurückzuschicken. All das wurde von Senator Henkel ignoriert. Der Senat wollte ein abschreckendes Exempel statuieren. Das ist perfide, sollte doch die Vereinbarung entsprechend unserer langjährigen, ungelösten Situation mit „good will“ umgesetzt werden. Das Gegenteil war der Fall, die Ausländerbehörde wurde angewiesen, besonders hart mit unseren Anträgen umzugehen. Es gab bis jetzt nicht eine einzige, positive Entscheidung - und wir glauben auch nicht mehr daran!

Ende August 2014 wurde dann am späten Nachmittag in der Gürtelstraße, unserer Unterkunft, eine Liste mit 67 Namen veröffentlicht. Diese Personen sollten bis zum nächsten Morgen, 8:00 Uhr das Haus verlassen. Gleichzeitig wurden uns auch die freiwilligen Geldleistungen gestrichen! Wir hatten mit dem freiwilligen Abbau des Oranienplatzcamps unseren Teil der Vereinbarung erfüllt! Deswegen haben wir keinen Ort mehr, wohin wir gehen können! Nach jahrelanger Obdachlosigkeit hatten wir uns vertrauensvoll auf die Umsetzung der Vereinbarung verlassen, wir fühlten uns betrogen!

Wir sind verzweifelt, nicht kriminell! Deswegen sind einige von uns auf das Dach der Gürtelstraße gegangen, um zu protestieren. In dieser Zeit wurden wir systematisch ausgehungert und bekamen erst nach zahlreicher Unterstützung von außen täglich einen halben Liter Wasser, wovon kein Mensch unbeschadet überleben kann. Der Strom und das Wasser wurden komplett abgestellt. Die Umgebung des Hauses war zwei Wochen lang massiv durch die Polizei abgesperrt, die verbliebenen Bewohner hatten aufgrund der massiven Polizeipräsenz auch im Haus Angst, ihre Zimmer zu verlassen. Unsere Anwältin und Personen unseres Vertrauens wurden nicht zu uns gelassen. Nahrungsmittel, welche von UnterstützerInnen, kirchlichen Würdeträgern, Ärzten und PolitikerInnen für uns abgegeben wurden, verzehrte die Polizei vor unseren Augen provokativ in Sichtweite. Tagelang musste von außen darum gekämpft werden, dass unser an Tuberkulose erkrankter Bruder Mouhamed seine Medikamente erhielt. Diese dürfen nur mit ausreichender Wasser- und Lebensmittelzufuhr eingenommen werden, da diese harte Therapie sonst körperliche Schäden anrichtet. Als Mouhamed nach zwei Wochen starke Herz-und Magenprobleme bekam, beschlossen wir gemeinsam, das Dach zu verlassen, um unser Leben nicht zu gefährden. Wir haben den Libyenkrieg, die unfreiwillige Flucht über das Mittelmeer und die lange Obdachlosigkeit nicht überlebt, um in Berlin im Protest zu sterben! Y. musste in der ersten Nacht nach dem Protest als Notfall auf die Intensivstation und hat dort fast sein Leben verloren! Auch das ist die Folge der systematischen Aushungerung, die uns widerfahren ist!

Seit September letzten Jahres leben viele von uns unter der Obhut der evangelischen Kirche. Wir sind dankbar für diese Hilfe, an den Grundproblemen hat sich leider nichts geändert. Auch die Verhandlungen zwischen Kirche und Senat schleppen sich dahin, wir haben wenig Hoffnung! 

Das Asylsystem und die Einwanderungspolitik der EU sind in der derzeitigen Form inhuman, unsolidarisch und nicht zukunftsfähig. Täglich ertrinken unsere Brüder und Schwestern im Mittelmeer. Unseren politischen Forderungen sollten alle Verantwortlichen mit Toleranz und Dialogbereitschaft begegnen und ernsthaft nach Lösungen suchen. Wir fordern Aufenthalt und das Recht auf Arbeit, damit wir endlich wieder für uns selbst sorgen können! Das könnte eine win-win-Situation auch für Deutschland sein! Die menschenunwürdigen Zustände der „Lampedusaflüchtlinge“ sind nicht länger hinnehmbar. Denn auch für jeden von uns garantiert der Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“. 

 

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Aktive und direkte Flüchtlingshilfe für eine Gruppe junger Männer aus Schwarzafrika in Berlin